Ludwig Wittgenstein

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Ludwig Josef Johann Wittgenstein (* 26. April 1889 in Wien – † 29. April 1951 in Cambridge) war ein österreichisch-britischer Philosoph, dessen Theorien sowohl die Philosophie der Logik als auch die Sprachphilosophie und die Philosophie des Bewusstseins verändert haben.

Biographie

Das Licht der Welt erblickte Ludwig Wittgenstein am 26. April 1889 in Wien als Sohn von Karl und Leopoldine Wittgenstein. Er wurde in eine Industriellenfamilie mit jüdischen Wurzeln hineingeboren und hatte noch sieben ältere Geschwister.

Bevor er sich hauptsächlich der Philosophie zuwandte, studierte er Ingenieurswissenschaften. Bereits während des Studiums erkannte er, dass ihn das Nachdenken über philosophische Probleme quasi verfolgte. Es widerstrebte ihm, doch er verspürte einen inneren Zwang, es trotzdem immer und immer weiter zu tun. Psychologisch betrachtet ist Wittgenstein ein sehr interessanter Mensch.

Dieser Zwang, sich mit etwas zu beschäftigen, was er eigentlich gar nicht wollte, passt gut in das Bild eines Menschen mit schweren Depressionen. In der Tat galt er stets als depressiv. Der Philosoph Bertrand Russel sagte einst über Wittgenstein:

„Seine Verfassung ist die eines Künstlers, intuitiv und stimmungshaft. Er sagt von sich, dass er jeden Morgen voller Hoffnung beginne, aber jeder Abend in Verzweiflung ende.“

(Quelle: D. F. Pears, Wittgenstein – London, 1971)

Die Veranlagung zu Depressionen scheint bei Wittgenstein in der Familie zu liegen, denn immerhin begingen seine drei Brüder Hans, Kurt und Rudolf Selbstmord.

Ludwig Wittgenstein erlag am 29. April 1951 einem Krebsleiden. Begraben wurde er in Cambridge.

Wittgensteins Philosophie kompakt

Die Philosophie Wittgensteins in Kürze zu erklären ist kaum möglich. Seine Werke sind nicht als Lehre zu verstehen, sondern zeigen vielmehr eine Herangehensweise. Er formulierte keine zusammenhängenden Texte wie die meisten Philosophen, sondern schrieb einzelne Sätze bzw. Absätze, bestehend aus wenigen zusammenhängenden Sätzen. Man kann sagen, dass man Wittgenstein beim Denken beobachtet, wenn man seine Werke liest.

Eine gute Übersicht über sein Werk wird in dieser Vorlesung in englischer Sprache vermittelt:

 

Er entwickelte seine Philosophie während des Schreibens, wodurch es möglich ist, seinen Gedankengängen zu folgen, auch denen, die letztendlich ins Leere laufen. Generell kann man Wittgensteins Philosophie in zwei Phasen unterteilen. Der frühe Wittgenstein hat den Tractatus verfasst und vertrat in Anlehnung an Russel einen Logischen Positivismus. Der späte Wittgenstein widersprach vielen im Tractatus aufgestellten Thesen.

Im Folgenden soll versucht werden, die Kernaussagen seiner beiden großen Werke zusammenzufassen und Wittgensteins Philosophie so verständlich wie möglich zu erklären.

Tractatus Logicus-Philosophicus – Logisch-philosophische Abhandlung

Denken und Sprache sind fest miteinander verbunden. Die Sprache ist ein Ausdruck des Denkens. Philosophische Probleme lassen sich daher nur lösen, wenn man die Sprache und ihre Funktionsweise versteht.

Sprache verwendet Worte und Sätze. Worte sind einzelne Abbilder des Gegenstandes, auf welchen sie sich beziehen. Im Wort wird ein Abbild der Wirklichkeit erschaffen. Im Satz zeigt sich die Logik der Verbindungen in der Wirklichkeit, also auch die Verbindungen zwischen den Gegenständen. Gegenstand ist hier nicht als physisches Ding zu verstehen, sondern wie in dem Ausdruck „Die Krise ist Gegenstand der Besprechung“.

Wittgenstein unterscheidet drei Arten von Sätzen: Sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze. Ein sinnvoller Satz ist einer, der wahr oder falsch sein kann. Ein solcher Satz beschreibt das Bestehen oder Nichtbestehen eines Sachverhalts. Beispiel: „Es regnet draußen gerade“ -> ist entweder wahr oder falsch.

Ein sinnloser Satz ist eine Tautologie. Dabei handelt es sich um Sätze, die immer wahr, falsch oder beides zugleich sind. Beispiel: „Es regnet draußen oder es regnet draußen nicht“ -> unabhängig vom Wetter ist dieser Satz immer wahr und somit sinnlos, da er nichts aussagt. „Es regnet draußen und es regnet draußen nicht“ ist ebenso sinnlos, da der Satz entweder immer falsch bzw. immer ein Teil des Satzes wahr und der andere falsch ist.

Die dritte Satzart ist der unsinnige Satz. Ein unsinniger Satz ist einer, der keine Wirklichkeit beschreibt, wie zum Beispiel eine Bitte oder eine Theorie. Dazu gehören auch Sätze der Ethik, da Sätze der Ethik keine Wirklichkeit beschreiben und weder wahr noch falsch sein können.

Das Interessante an diesem Standpunkt ist die Schlussfolgerung, die Wittgenstein selbst daraus zieht. Er sagt, dass man nicht über das sprechen könne, was unsinnig bzw. sinnlos ist. Daraus folgert er selbst, dass man auch über die Philosophie nicht reden könne, wodurch auch seine eigenen Thesen im Tractatus sinnlos seien. Ganz unnütz fand er den Tractatus dann aber doch nicht. Ihn sah er als den Beweis dafür an, dass Philosophie in Form einer Tätigkeit den Sinn der Sprache an sich erklärt. Da das nun geschehen sei, kann durch die Lektüre des Buches jeder verstehen, dass die Philosophie sinnlos ist.

Daraufhin hängte er die Philosophie an den Nagel, denn seiner Meinung nach hat er es mit einem Buch geschafft, die Philosophie zu zerstören bzw. ihre Nichtigkeit zu beweisen. Nach diesem Erfolg war die Philosophie für ihn zunächst erledigt und er nahm eine Tätigkeit als Volksschullehrer an.

Philosophische Untersuchungen

Nach vielen Jahren als Lehrer stellte Wittgenstein fest, dass er sich geirrt hat, als er dachte, er hätte die Philosophie begraben. Während seiner Arbeit stellte er fest, dass die reale Verwendung der Sprache überhaupt nicht zu den im Tractatus festgehaltenen Folgerungen passte. Die Sprache ist viel zu ungenau, um den Regeln der Logik folgen zu können. Als er darüber nachdachte, erkannte er, dass man die Bedeutung gesprochener Wörter nur verstehen kann, indem man ihre Verwendung im Alltag versteht.

Wittgenstein nahm nun an, dass es Regeln gibt, nach denen die Sprache funktioniert, zum Beispiel die Grammatik. Diese existierte für ihn außerhalb der sprachlichen Wirklichkeit, wird aber zugleich von dieser beeinflusst. So erkannte er im Laufe seines Schaffens, dass es scheinbar keine Grundgrammatik gibt, die in allen Sprachen gleich funktioniert.

So gibt es im Amazonasgebiet Brasiliens das Volk der Pirahã. Die gleichnamige Sprache verfügt beispielsweise über keine Begriffe für Farben und auch Zahlwörter sind quasi nicht existent. Nebensätze existieren in dieser Sprache ebenfalls nicht. Trotzdem haben die Stammesmitglieder keine Probleme mit der sprachlichen Kommunikation untereinander.

Wittgenstein bezeichnete Kommunikation als Sprachspiel. Wenn ein Mensch mit einem anderen Menschen spricht, spielt er mit ihm ein Sprachspiel. Dieses Spiel folgt gewissen Regeln, die man durch Beobachtung ableiten kann. Wer die Regeln nicht kennt, kann an dem Sprachspiel nicht teilnehmen. Wittgenstein zieht in den Philosophischen Untersuchungen einen Vergleich zum Schachspiel. Die Regeln des Schachspiels sind nicht absolut. Wer kein Schach spielen kann, kann durch Beobachtung von zwei Schachspielern auf die Regeln schließen.

Ob die Spieler aber die „absoluten“ Schachregeln befolgen oder nach ihren eigenen Regeln spielen, bleibt dem Beobachter verborgen. Haben sich die beobachteten Spieler darauf geeinigt, dass der Spieler, der gerade eine Figur des anderen geschlagen hat, nach dem Spielzug dreimal um den Tisch hüpfen muss, dürfte es für große Belustigung sorgen, wenn der Beobachter später mit jemandem Schach spielt, dem diese Regel nicht geläufig ist.

Diese Folgerung führte Wittgenstein zum Problem der Privatsprache. Spielt jemand ein Sprachspiel mit einer anderen Person, ist diese in der Lage, falsch angewandte Regeln zu erkennen und den Anderen darauf hinweisen. Bezeichnet eine Person z.B. einen roten Gegenstand als blau, können Außenstehende der Person mitteilen, dass diese Farbe Rot genannt wird.

In Gedanken ist das nicht möglich. Es gibt keine Prüfinstanz, die in der Lage ist, die Verwendung von Worten im Gespräch mit sich selbst zu kontrollieren. Wörter der Privatsprache sind für ihn somit sinnlos, da man den Wahrheitsgehalt und die Bedeutung willkürlich festlegen und immer wieder ändern kann.

Gleiches gilt für Empfindungen. Über Empfindungen kann man nicht sprechen, da sie privat sind. So ist es z. B. unmöglich von Schmerzen zu sprechen. Man hat sie einfach und dies jemandem mitzuteilen ist sinnlos, da die andere Person nicht wissen kann, worüber genau gesprochen wird. Bei so elementaren Empfindungen wie Schmerz hat jeder regelkundige Sprachspieler eine Vorstellung davon, was das Wort Schmerz bezeichnet, da er selbst etwas kennt, was er als Schmerz bezeichnet.

Allerdings ist es ein Ding der Unmöglichkeit, die privaten Empfindungen zu vergleichen, um feststellen zu können, ob das Wort „richtig“ benutzt wurde. Es zeigt schließlich auf die private Empfindung des Anderen. Möglicherweise ist die Empfindung ganz anderer Art als die eigene und wird „fälschlicherweise“ als Schmerz bezeichnet.

Wittgenstein unterteilt die Menschheit in unterschiedliche Lebensformen. Das ist nicht rassistisch gemeint. Er bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die bestimmte Sprachspiele spielen, als eigene Lebensformen. Beispiel: Ein obdachloser Hauptschulabbrecher, ein theoretischer Physiker und ein Onlineredakteur sitzen zusammen und sollen ein Gespräch führen.

Das Gespräch wird äußerst schleppend verlaufen, da der allgemeine Sprachgebrauch der drei Gesprächsteilnehmer nur in wenigen Punkten übereinstimmt. Alle drei verwenden die Sprache und führen ihr Leben in einer bestimmten Form. Somit kann man jeden der drei Personen als eigene Lebensform bezeichnen. Es gibt aber keine konkreten Abgrenzungskriterien. Der Begriff ist etwas schwammig und es gibt keine Definition, nach der bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, um verschiedene Lebensformen voneinander abgrenzen zu können.

Werke

  • 1921: Logisch-philosophische Abhandlung (Tractatus Logico-Philosophicus)
  • 1953: Philosophische Untersuchungen (Postum)
  • 1970: Über Gewissheit (Postum, Suhrkamp)

Zitate

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

(Tractatus Logico-Philosophicus, 7)

 

„Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt.“

(Tractatus Logico-Philosophicus, 6.432)

 

„Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“

(Tractatus Logico-Philosophicus, 6.4311)

 

„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“

(Philosophische Untersuchungen, 43)

 

„Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und die Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“

(Philosophische Untersuchungen, 119)

 

„Die Philosophie hat keinen Fortschritt gemacht? Wenn einer kratzt, wo es ihn juckt, muss ein Fortschritt zu sehen sein? Ist es sonst kein echtes Kratzen, oder kein echtes Jucken? Und kann nicht diese Reaktion auf die Reizung lange Zeit so weitergehen ehe ein Mittel gegen das Jucken gefunden wird?“

(Vermischte Bemerkungen, Frankfurt am Main 1984, S. 573)

 

„Ein Philosophisches Problem hat die Form: ‚Ich kenne mich nicht aus‘.“

(Philosophische Untersuchungen, 123)

 

„Denn die philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache feiert.“

(Philosophische Untersuchungen, 38)

 

„Seltsamer Zufall, dass alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten.“

(Über Gewissheit)

 

„Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit.“

(Philosophische Untersuchungen, 255)

 

„Was ich lehren will, ist: Von einem nicht offenkundigen Unsinn zu einem offenkundigen übergehen.“

(Philosophische Untersuchungen, 464)